Nach dem Siege, den die freien Völker über die Regierungen errungen haben, welche versucht hatten, die Menschen zu unterjochen und herabzuwürdigen, verkündet das französische Volk erneut, daß jedes menschliche Wesen ohne Unterschied der Rasse, der Religion oder des Glaubens unveräußerliche und heilige Rechte besitzt. Es bestätigt nochmals feierlich die Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers, die durch die Erklärung der Rechte von 1789 verbürgt sind, sowie die von den Gesetzen der Republik anerkannten Grundprinzipien.

Es verkündet ferner als für unsere Zeit besonders vonnöten, die folgenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Grundsätze:

Das Gesetz sichert der Frau in allen Belangen die gleichen Rechte wie dem Manne zu.

Jeder, der aufgrund seines Einsatzes für die Freiheit verfolgt wird, genießt auf französischem Staatsgebiet Asylrecht.

Jeder hat die Pflicht zu arbeiten und das Recht auf einen Arbeitsplatz. Niemand darf in seiner Arbeit oder an seinem Arbeitsplatz aufgrund seiner Herkunft, seiner Überzeugungen oder seines Glaubens benachteiligt werden.

Jeder darf seine Rechte und Interessen durch gewerkschaftliche Tätigkeit verteidigen und einer Gewerkschaft seiner Wahl beitreten.
Das Streikrecht ist im Rahmen der entsprechenden Gesetze auszuüben.

Jeder Arbeitnehmer nimmt über seine Vertreter an der gemeinschaftlichen Festlegung der Arbeitsbedingungen sowie an der Unternehmensverwaltung teil.

Jedes Besitztum, jedes Unternehmen, dessen Nutzung den Charakter eines nationalen öffentlichen Diensts oder eines faktischen Monopols hat oder erlangt, muss zum Gemeinschaftseigentum werden.

Die Nation sichert jedem einzelnen und der Familie die zu ihrer Entfaltung notwendigen Voraussetzungen zu.

Sie garantiert allen, insbesondere Kindern, Müttern und älteren Arbeitnehmern, den Schutz ihrer Gesundheit, materiellen Sicherheit, Erholung und Freizeit. Jeder, der aufgrund seines Alters, seines körperlichen oder geistigen Zustands oder der Wirtschaftslage nicht in der Lage ist zu arbeiten, hat Anspruch darauf, zur Sicherung seiner Existenz von der Gemeinschaft angemessene Mittel einzufordern.

Die Nation verkündet die Solidarität und Gleichheit aller Franzosen gegenüber den Lasten, die aus nationalen Notständen erwachsen.
Die Nation sichert dem Kinde wie dem Erwachsenen gleichen Zugang zu Bildung, Berufsausbildung und Kultur zu. Die Organisation des kostenlosen, laizistischen öffentlichen Schulwesens auf allen Schulstufen ist eine Pflicht des Staates.

Die Französische Republik richtet sich, ihren Traditionen getreu, nach den Regeln des Völkerrechts. Sie wird nie einen Eroberungskrieg führen und ihre Streitkräfte niemals gegen die Freiheit irgendeines Volkes einsetzen.

Unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit stimmt Frankreich den zur Organisation und Verteidigung des Friedens notwendigen Einschränkungen seiner Souveränität zu.

Frankreich bildet mit den überseeischen Völkern eine Union, die auf der Gleichheit der Rechte und Pflichten ohne Unterschied der Rasse oder Religion gründet.

Die Französische Union setzt sich aus Nationen und Völkern zusammen, die ihre Ressourcen und Kräfte zusammentun oder koordinieren, um ihre Zivilisationen zu entwickeln, ihren Wohlstand zu mehren und ihre Sicherheit zu wahren.

Getreu seinem traditionellen Auftrag beabsichtigt Frankreich, die Völker, für die es Verantwortung übernommen hat, der Freiheit zur Selbstverwaltung und demokratischen Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten zuzuführen. Es lehnt jedes auf Willkür gegründete Kolonialsystem ab und garantiert allen den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern und die individuelle oder kollektive Ausübung der oben verkündeten oder bestätigten Rechte und Freiheiten.

Staatsarchiv (Frankreich), 27. Oktober 1946, AE/I/29/18, Verfassung vom 27. Oktober 1946

Verfassung vom 27. Oktober 1946

Stand : 15 Dezember 2022