Angesichts des Krieges auf unserem Kontinent, des verschärften globalen Wettbewerbs, des beschleunigten technologischen und klimatischen Wandels sowie der Bedrohung durch weltweite Handelskonflikte haben wir eine umfassende Agenda vereinbart, um unsere Beziehung neu auszurichten und Europa zu stärken. Wir wollen unsere Partnerschaft strategischer und handlungsfähiger gestalten, um konkrete Ergebnisse für unsere Bürgerinnen und Bürger und für die Europäische Union zu erzielen. Der deutsch-französische Reflex und unsere enge Abstimmung sollen künftig voll zum Tragen kommen: für ein souveräneres Europa mit Fokus auf Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Illusion eines ewigen Friedens und einer garantierten Sicherheit in Europa zunichtegemacht. Wir haben bereits begonnen, mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit zu übernehmen und werden dies in Zukunft noch stärker tun. Wir werden unsere Verteidigungsfähigkeiten weiter ausbauen, auch um die europäische Säule der NATO zu stärken. Wir werden die Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung erhöhen, die technologische und industrielle Basis der europäischen Verteidigung stärken und eine dynamische europäische Präferenz fördern. Dabei werden wir uns auf die Vorschläge der Europäischen Kommission zu öffentlichen und privaten Investitionsinstrumenten stützen. Wir müssen es schaffen, die strategischen Abhängigkeiten und die Zahl an verschiedenen Verteidigungssystemen in Europa zu verringern und Standardisierung sowie Interoperabilität auszubauen, um einen gut funktionierenden Markt und eine „Best-Athlete“-Logik in der Industrie zu erreichen, und müssen gleichzeitig weiter an passenden Finanzierungsinstrumenten arbeiten. Die gemeinsame Produktion, Beschaffung und Anschaffung in vorrangigen Fähigkeitsbereichen, die auf EU-Ebene bestimmt wurden, muss gestärkt werden. Wir werden regelmäßig deutsch-französische Ministerräte zu strategischen Fragen, Verteidigung und nationaler Sicherheit abhalten, um unsere Unterstützung für die Ukraine, unsere Verteidigungsplanung und -produktion, unsere strategischen Verteidigungsziele sowie die anstehende Überarbeitung unserer jeweiligen nationalen Sicherheitspolitiken zu koordinieren. Wir werden unsere bilateralen Vorhaben im Bereich der Verteidigungszusammenarbeit neu beleben, um unserem heutigen und künftigen Bedarf gerecht zu werden, und ein gemeinsames Innovationsprogramm im Verteidigungsbereich entwickeln. Wir stehen geeint und fest entschlossen hinter einer souveränen und unabhängigen Ukraine. Einen diktierten Frieden werden wir niemals akzeptieren und wir werden die Ukraine auch weiterhin bei ihrer Verteidigung gegen den russischen Angriff unterstützen. Gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, der Ukraine und unseren europäischen Partnern werden wir uns für einen vollständigen und dauerhaften Waffenstillstand einsetzen. Sobald dieser erreicht ist, sind wir bereit, zu einem gerechten und dauerhaften Frienden beizutragen – mit US-Sicherheitsunterstützung, soliden Sicherheitsgarantien und einer starken ukrainischen Armee –, um jegliche zukünftige russische Angriffe abzuschrecken. Auch unseren Umgang mit Russland und der systemischen Bedrohung, die es für Europas Sicherheit darstellt, werden wir untereinander abstimmen. Wohlstand ist eine Grundvoraussetzung für unsere Souveränität. Wir werden die EU-Agenda für Wettbewerbsfähigkeit beschleunigen und entschlossen vorantreiben. Um die Energiekosten zu senken und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, werden wir einen deutsch-französischen Neustart in der Energiepolitik durchführen, der auf Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität beruht. Das bedeutet, den Grundsatz der Technologieneutralität umzusetzen, sprich die Gleichbehandlung auf EU-Ebene aller emissionsarmer Energien sicherzustellen, einen pragmatischen Ansatz für CO2-armen Wasserstoff zu verfolgen, Erdgas als Brückentechnologie für EU-Mitgliedstaaten, die es benötigen, anzuerkennen und in unseren Energiezielen einen klaren Fokus auf CO2-Emissionen zu setzen. Auf der Grundlage eines umfassenden Verständnisses unserer Energiemärkte verpflichten wir uns zu gezielten Investitionen in Kernnetze, darunter auch in grenzüberschreitende Infrastruktur. Wir sind uns einig, dass jede neue Klimazielsetzung mit glaubwürdigen Strategien einhergehen muss, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU sicherzustellen und Carbon Leakage zu vermeiden. Gleichzeitig müssen wir unbedingt die Bürokratie innerhalb der EU abbauen, die Wachstum lähmt. Dazu müssen alle europäischen Vorschriften geprüft und unnötige Lasten beseitigt werden, ohne dabei unsere gemeinsamen Ambitionen zu verwässern. Wir unterstützen die Vorschläge der Kommission und die Notwendigkeit, die Vereinfachung schnell zu verwirklichen, insbesondere bezüglich der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) und der Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD). Wir rufen zu einer weiteren Vereinfachung der EU-Verordnungen auf. Zudem wollen wir Investitionen, Forschung, Innovation, Partnerschaften und Skaleneffekte in Schlüsselbereichen beschleunigen, in denen die EU einen Wettbewerbsvorteil beibehalten muss, etwa bei Künstlicher Intelligenz, Quanteninformatik, Energie und sauberen Technologien, Biotechnologien, Raumfahrt, Halbleitern und Verteidigung. Wir werden die Möglichkeit einer europäischen Präferenz im öffentlichen Beschaffungswesen prüfen, insbesondere bei CO2-armen Produkten. Außerdem werden wir an einer Reform der EU-Wettbewerbsregeln arbeiten, um die Herausbildung globaler europäischer Champions in strategischen Sektoren zu ermöglichen. Dazu brauchen wir sowohl öffentliche als auch private Investitionen, insbesondere in die Infrastruktur. Wir teilen das vorrangige Ziel, eine echte Kapitalmarktunion zu schaffen, um unsere Ersparnisse gezielt in europäische Unternehmen zu lenken, damit sie für den grünen und digitalen Wandel sowie für die Verteidigung eingesetzt werden können – mit besseren Wettbewerbsbedingungen für unsere Konkurrenten, einem neuen EU-Verbriefungsmarkt und einem europäischen Sparprodukt. Wir werden gemeinsam an einem moderneren nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU arbeiten und dabei unsere Herausforderungen berücksichtigen und Fortschritte in Bezug auf neue Eigenmittel machen. Wir sind uns einig, angesichts des zunehmenden globalen Wettbewerbs für eine neue, nachhaltige EU-Handelsagenda zu werben, unsere Partnerschaften und Lieferketten zu diversifizieren und Risiken zu minimieren, um so im Einklang mit unserem Bekenntnis zu einem offenen, fairen und regelbasierten Handel Europas Wettbewerbsfähigkeit zu fördern und wirksame Schutzmaßnahmen für die Landwirtschaft und strategische Sektoren zu gewährleisten. Das darf nicht mit Naivität verwechselt werden. Gegenseitig vorteilhafte Wirtschaftsbeziehungen setzen faire Wettbewerbsbedingungen voraus. Wir werden Wege ausloten, um mit den Vereinigten Staaten eine gegenseitig vorteilhafte Handels- und Investitionsagenda zu entwickeln. Gleichzeitig darf niemand an unserer Entschlossenheit zweifeln, die Interessen der EU vollumfänglich zu wahren und entschlossen auf Maßnahmen zu reagieren, die die EU beeinträchtigen könnten. Wir unterstützen die Kommission dabei, ihre Instrumente zügig und konsequent einzusetzen, wenn dies zum Schutz der europäischen Interessen erforderlich ist. Zudem werden wir für eine wirksame wirtschaftliche Sicherheitspolitik der EU werben. Im Umgang mit China werden wir unsere sicherheitspolitischen Analysen koordinieren und einen gemeinsamen Ansatz verfolgen, insbesondere in Handels- und Wirtschaftsfragen, zugleich aber auch im Dialog bleiben, etwa zu globaler Stabilität, Klimaschutz und in anderen Bereichen von gemeinsamem Interesse. Darüber hinaus wollen wir diesen Moment nutzen, um unsere nationalen Reformagenden im Bereich Wirtschaft und Soziales enger abzustimmen, insbesondere bei Arbeitsmarkt- und Steuerfragen. Wir werden eine Dialogplattform zwischen den französischen und deutschen Sozialpartnern sowie zwischen Wirtschaftsexperten einrichten. Unsere Führungsrolle ist auch in der Migrationspolitik gefragt. Wir werden eine vollständige, zügige und einheitliche Umsetzung des Europäischen Asyl- und Migrationspakts in Frankreich und Deutschland gewährleisten und hinsichtlich der EU-Rückführungsverordnung vorankommen. Unser Ziel ist eine strategischere Steuerung des Schengen-Raums und eine enge Abstimmung bei Kontrollen an den Binnengrenzen, um ein effizientes und reibungsloses Funktionieren sicherzustellen. Schließlich brauchen wir Reformen für ein stabiles Europa: intern, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken. Extern, um die Erweiterung vorzubereiten und die geopolitischen Herausforderungen zu bewältigen, auch aufbauend auf der Europäischen Politischen Gemeinschaft. 75 Jahre nach der Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950 sind wir stolz auf das, was Europa erreicht hat. Wir werden uns weiterhin für „diese konkrete[n] Errungenschaften [...], die zunächst eine De-facto-Solidarität schaffen“ einsetzen – und zwar Tag für Tag, gemeinsam als Frankreich und Deutschland, für eine souveränere Europäische Union, die für ihre Interessen eintritt.
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