Am 13. Oktober 1946, nach einer langen, angeregten öffentlichen Debatte, stimmten die Franzosen per Volksabstimmung der Verfassung der Vierten Republik zu. Es bedurfte zweier verfassungsgebender Versammlungen, zweier Verfassungsentwürfe und dreier Volksabstimmungen, um Frankreich nach der Befreiung mit neuen Institutionen auszustatten. Die IV. Republik wurde – noch vor ihrer Ausrufung – von Charles de Gaulle in seiner berühmten Rede von Bayeux am 16. Juni 1946 kritisiert und stand auf schwachen Füßen: Es gab so viele leere Stimmzettel und Enthaltungen, daß die Ja-Stimmen letzten Endes nur 36% der eingetragenen Wähler ausmachten.

Die am 27. Oktober 1946 verkündete Verfassung der IV. Republik bestand aus einer Präambel, auf die 106 Artikel folgten, womit sie sich in die Tradition der revolutionären Verfassungen von 1791, 1793, 1795 und 1848 einreihte.

Diese Präambel, die feierlich die Wiederherstellung der Demokratie nach dem Vichy-Regime (1940-1944) bekräftigte, griff das Erbe von 1789 wieder auf und führte neue Grundsätze, in erster Linie wirtschaftlicher und sozialer Natur, ein: Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Belangen, Recht auf Asyl für all jene, die wegen ihres Freiheitskampfes verfolgt werden, Recht auf Arbeit, Koalitionsfreiheit, Streikrecht, Recht der Arbeitnehmer auf Beteiligung an der Unternehmensführung, Recht des Staates, jedes Unternehmen mit einem De-facto-Monopol zu verstaatlichen, Recht auf Bildung und auf Freizeit. Anhand dieser Grundsätze konnte eine ganze Reihe von Entscheidungen legalisiert werden, die seit der Befreiung getroffen worden waren: Verstaatlichungen, Einführung des Frauenwahlrechts und der Sozialversicherung, Gründung von Betriebsräten etc. Die Präambel schuf außerdem die Französische Union (Union française) zwischen Frankreich und den früheren französischen Kolonien.

Durch die 106 Artikel der Verfassung wurde ein Parlamentssystem eingeführt. Die Verfassung sah zwar eine zweite Kammer vor, den Rat der Republik, der an die Stelle des Senats trat, übertrug jedoch den Großteil der gesetzgebenden Gewalt der Nationalversammlung (Assemblée nationale), deren Name von den Revolutionen von 1789 und 1848 übernommen wurde anstelle der in der Dritten Republik üblichen Bezeichnung der Abgeordnetenkammer. Diese Kammer, deren Mitglieder für 5 Jahre gewählt wurden, beschloss allein die Gesetze, während der Rat der Republik lediglich eine Stellungnahme abgab. Die Nationalversammlung wählte gemeinsam mit dem Rat der Republik den Staatspräsidenten und bewilligte mit absoluter Stimmenmehrheit die Investitur des Ministerpräsidenten, der vom Staatspräsidenten für die Regierungsführung vorgeschlagen wurde. Außerdem prüfte sie ständig die Amtsgeschäfte der Regierung. Da die Befugnisse des Staatspräsidenten im Übrigen begrenzt waren, hatte die Nationalversammlung in der staatlichen Gewaltenteilung eine Vormachtstellung inne.

1954 wurde diese Verfassung in einigen Details revidiert und 1958 im Zuge des Algerienkrieges umgestürzt. Am 1. Juni 1958 setzte die Nationalversammlung Charles de Gaulle als Ministerpräsident ein und erlaubte ihm am 3. Juni, einen Verfassungsentwurf aufzusetzen, der direkt einer Volksabstimmung unterzogen wurde. Damit wurde die Vierte Republik von der Fünften Republik abgelöst.

Üblicherweise wird die ministerielle Instabilität der IV. Republik der Verfassung von 1946 zugeschrieben. In Wirklichkeit lagen die Gründe anderswo. Zum einen hing diese Instabilität mit der Einführung der Listenwahl nach dem Verhältniswahlrecht zusammen, die es einer größeren Zahl von Kleinparteien ermöglichte, in die Nationalversammlung einzuziehen, und die Bildung stabiler Mehrheiten verhinderte. Zum anderen resultierte sie aus einer in der Verfassung nicht vorgesehenen, von Ministerpräsident Paul Ramadier eingeführten Praxis, die Regierungsbildung einer Investitur durch die Nationalversammlung zu unterziehen. Durch diese doppelte Investitur war der Handlungsspielraum der Exekutive eingeschränkt worden.

Auch wenn sich die IV. Republik als machtlos angesichts der Algerienkrise erwies, sorgte sie dank der großen Stabilität der politischen Führungskräfte für Kontinuität im staatlichen Handeln und die Fortführung der Staatsgeschäfte durch hohe Beamte. Sie legte den Grundstein der Modernisierung Frankreichs, gewährte 1956 Tunesien und Marokko die Unabhängigkeit und den Kolonien in Schwarzafrika die Autonomie und begann schließlich durch die Gründung der EGKS 1951 und die Unterzeichnung des Vertrags von Rom 1957 mit dem europäischen Aufbauwerk. 

© Staatsarchiv (Frankreich), 27. Oktober 1946, AE/I/29/18, Verfassung vom 27. Oktober 1946

Präambel der Verfassung von 1946

Nach dem Siege, den die freien Völker über die Regierungen errungen haben, welche versucht hatten, die Menschen zu unterjochen und herabzuwürdigen, verkündet das französische Volk erneut, daß jedes menschliche Wesen ohne Unterschied der Rasse, der Religion oder des Glaubens unveräußerliche und heilige Rechte besitzt. Es bestätigt nochmals feierlich die Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers, die durch die Erklärung der Rechte von 1789 verbürgt sind, sowie die von den Gesetzen der Republik anerkannten Grundprinzipien.

Es verkündet ferner als für unsere Zeit besonders vonnöten, die folgenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Grundsätze:

Das Gesetz sichert der Frau in allen Belangen die gleichen Rechte wie dem Manne zu.

Jeder, der aufgrund seines Einsatzes für die Freiheit verfolgt wird, genießt auf französischem Staatsgebiet Asylrecht.

Jeder hat die Pflicht zu arbeiten und das Recht auf einen Arbeitsplatz. Niemand darf in seiner Arbeit oder an seinem Arbeitsplatz aufgrund seiner Herkunft, seiner Überzeugungen oder seines Glaubens benachteiligt werden.

Jeder darf seine Rechte und Interessen durch gewerkschaftliche Tätigkeit verteidigen und einer Gewerkschaft seiner Wahl beitreten.

Das Streikrecht ist im Rahmen der entsprechenden Gesetze auszuüben.

Jeder Arbeitnehmer nimmt über seine Vertreter an der gemeinschaftlichen Festlegung der Arbeitsbedingungen sowie an der Unternehmensverwaltung teil.

Jedes Besitztum, jedes Unternehmen, dessen Nutzung den Charakter eines nationalen öffentlichen Diensts oder eines faktischen Monopols hat oder erlangt, muß zum Gemeinschaftseigentum werden.

Die Nation sichert jedem einzelnen und der Familie die zu ihrer Entfaltung notwendigen Voraussetzungen zu.

Sie garantiert allen, insbesondere Kindern, Müttern und älteren Arbeitnehmern, den Schutz ihrer Gesundheit, materiellen Sicherheit, Erholung und Freizeit. Jeder, der aufgrund seines Alters, seines körperlichen oder geistigen Zustands oder der Wirtschaftslage nicht in der Lage ist zu arbeiten, hat Anspruch darauf, zur Sicherung seiner Existenz von der Gemeinschaft angemessene Mittel einzufordern.

Die Nation verkündet die Solidarität und Gleichheit aller Franzosen gegenüber den Lasten, die aus nationalen Notständen erwachsen.

Die Nation sichert dem Kinde wie dem Erwachsenen gleichen Zugang zu Bildung, Berufsausbildung und Kultur zu. Die Organisation des kostenlosen, laizistischen öffentlichen Schulwesens auf allen Schulstufen ist eine Pflicht des Staates.

Die Französische Republik richtet sich, ihren Traditionen getreu, nach den Regeln des Völkerrechts. Sie wird nie einen Eroberungskrieg führen und ihre Streitkräfte niemals gegen die Freiheit irgendeines Volkes einsetzen.

Unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit stimmt Frankreich den zur Organisation und Verteidigung des Friedens notwendigen Einschränkungen seiner Souveränität zu.

Frankreich bildet mit den überseeischen Völkern eine Union, die auf der Gleichheit der Rechte und Pflichten ohne Unterschied der Rasse oder Religion gründet.

Die Französische Union setzt sich aus Nationen und Völkern zusammen, die ihre Ressourcen und Kräfte zusammentun oder koordinieren, um ihre Zivilisationen zu entwickeln, ihren Wohlstand zu mehren und ihre Sicherheit zu wahren.

Getreu seinem traditionellen Auftrag beabsichtigt Frankreich, die Völker, für die es Verantwortung übernommen hat, der Freiheit zur Selbstverwaltung und demokratischen Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten zuzuführen. Es lehnt jedes auf Willkür gegründete Kolonialsystem ab und garantiert allen den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern und die individuelle oder kollektive Ausübung der oben verkündeten oder bestätigten Rechte und Freiheiten.

Von den Institutionen der Republik

TITEL I – Von der Souveränität

Artikel 1. Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik.

Artikel 2. Das Nationalemblem ist die blau-weiß-rote Trikolore mit drei vertikalen Streifen gleicher Größe.

Die Nationalhymne ist die Marseillaise.

Der Wahlspruch der Republik lautet: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Ihr Grundsatz lautet: Regierung des Volkes für das Volk und durch das Volk.

Artikel 3. Die nationale Souveränität liegt beim französischen Volke.

Weder ein Teil des Volkes noch eine Einzelperson kann ihre Ausübung für sich in Anspruch nehmen.

Das Volk übt sie in verfassungsrechtlichen Belangen durch die Abstimmung seiner Vertreter und durch Volksentscheide aus.

In allen anderen Belangen übt es seine Souveränität durch seine Abgeordneten bei der Nationalversammlung, die in allgemeiner, gleicher, direkter und geheimer Wahl gewählt wurden, aus.

Artikel 4. Wahlberechtigt sind nach Maßgabe des Gesetzes alle volljährigen französischen Staatsangehörigen beiderlei Geschlechts, die im Besitz ihrer bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte sind.
 
TITEL II – Vom Parlament

Artikel 5. Das Parlament besteht aus der Nationalversammlung und dem Rat der Republik.

Artikel 6. Die Amtsdauer jeder Kammer, die Art ihrer Wahl, die Bedingungen der Wählbarkeit, die Regelung der Nichtwählbarkeit und der Unvereinbarkeit mit anderen Ämtern wird durch das nationale Gesetz bestimmt.

Jede der beiden Kammern wird jedoch auf gebietsmäßiger Grundlage gewählt: die Nationalversammlung durch allgemeine, direkte Wahl, der Rat der Republik durch die kommunalen und departementalen Gebietskörperschaften in allgemeiner, indirekter Wahl. Der Rat der Republik wird zur Hälfte erneuert.

Doch kann die Nationalversammlung selbst Räte in verhältnismäßiger Vertretung wählen, deren Zahl nicht über ein Sechstel der Gesamtzahl der Mitglieder des Rates der Republik hinausgehen darf.

Die Zahl der Mitglieder des Rates der Republik darf nicht weniger als 250 und nicht mehr als 320 betragen.

Artikel 7. Es darf nicht ohne einen Beschluß der Nationalversammlung und vorherige Stellungnahme des Rates der Republik der Krieg erklärt werden.

Artikel 8. Jede der beiden Kammern prüft die Wählbarkeit ihrer Mitglieder und die Ordnungsmäßigkeit ihrer Wahl; sie allein kann ihre Mandatsniederlegung entgegennehmen.

Artikel 9. Die Nationalversammlung tritt zu ihrer jährlichen Sitzungsperiode rechtmäßig am zweiten Dienstag im Januar zusammen.

Die Gesamtdauer der Unterbrechungen einer Sitzungsperiode darf vier Monate nicht überschreiten. Als Unterbrechungen der Sitzungsperiode gelten Vertagungen der Sitzungen, die mehr als zehn Tage betragen.

Der Rat der Republik tagt gleichzeitig mit der Nationalversammlung.

Artikel 10. Die Sitzungen beider Kammern sind öffentlich. Der volle Wortlaut der Aussprachen des Parlaments wird ebenso wie die Parlamentsdrucksachen im Journal officiel (nationales Gesetzblatt) veröffentlicht.

Jede der beiden Kammern kann in geheimer Sitzung tagen.

Artikel 11. Jede der beiden Kammern wählt jährlich, zu Beginn ihrer Sitzungsperiode, ihr Präsidium in verhältnismäßiger Vertretung der Fraktionen.

Wenn beide Kammern zur Wahl des Präsidenten der Republik zusammentreten, so fällt dem Präsidium der Nationalversammlung die Rolle des Parlamentspräsidiums zu.

Artikel 12. Wenn die Nationalversammlung nicht tagt, kann ihr Präsidium, das die Kabinettstätigkeit beaufsichtigt, das Parlament einberufen; es muß dies tun, wenn es von einem Drittel der Abgeordneten oder vom Ministerpräsident verlangt wird.

Artikel 13. Die Nationalversammlung allein beschließt Gesetze. Dieses Recht ist nicht übertragbar.

Artikel 14. Die Gesetzesinitiative steht dem Ministerpräsidenten und den Mitgliedern des Parlaments zu.

Die von den Mitgliedern der Nationalversammlung abgefaßten Gesetzesentwürfe und -vorschläge werden bei deren Präsidium eingebracht.

Die von den Mitgliedern des Rates der Republik abgefaßten Gesetzesvorschläge werden bei dessen Präsidium eingebracht und ohne Aussprache dem Präsidium der Nationalversammlung vorgelegt. Sie sind nicht zulässig, wenn sie eine Verminderung der Einnahmen oder eine Schaffung neuer Ausgaben zur Folge haben.

Artikel 15. Die Nationalversammlung prüft die ihr vorgelegten Gesetzesentwürfe und -vorschläge in den Ausschüssen, deren Zahl, Zusammensetzung und Zuständigkeit sie festlegt.

Artikel 16. Die Nationalversammlung wird mit dem Haushaltsplan befaßt.

Dieses Gesetz darf nur Bestimmungen enthalten, die ausschließlich den Haushalt betreffen.

Ein Organgesetz regelt die Art und Weise der Vorstellung des Haushaltsplans.

Artikel 17. Den Abgeordneten der Nationalversammlung fällt die Ausgabeninitiative zu.

Bei der Beratung des Haushalts sowie der voraussichtlichen und zusätzlichen Finanzierungen darf jedoch kein Vorschlag vorgelegt werden, der zur Folge hat, die vorgesehenen Ausgaben zu erhöhen oder neue Ausgaben zu schaffen.

Artikel 18. Die Nationalversammlung regelt die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.

Sie wird in dieser Aufgabe durch den Rechnungshof unterstützt.

Die Nationalversammlung kann den Rechnungshof mit jeder Erhebung und Prüfung hinsichtlich des Einsatzes der Einnahmen und Ausgaben des Staates oder der Verwaltung der Kassenmittel beauftragen.

Artikel 19. Amnestien können nur durch ein Gesetz bewilligt werden.

Artikel 20. Der Rat der Republik prüft und beurteilt Gesetzesentwürfe und -vorschläge, die in erster Lesung von der Nationalversammlung beschlossen wurden.

Er gibt seine Stellungnahme spätestens zwei Monate nach der Vorlegung durch die Nationalversammlung ab. Im Fall des Haushaltsplans wird diese Frist gegebenenfalls verkürzt, um die von der Nationalversammlung genutzte Zeit für seine Prüfung und Verabschiedung nicht zu überschreiten. Wenn die Nationalversammlung den Beschluß eines Dringlichkeitsverfahrens gefaßt hat, gibt der Rat der Republik seine Stellungnahme innerhalb derselben Frist ab, wie sie bei Aussprachen der Nationalversammlung in deren Geschäftsordnung vorgesehen ist. Die in diesem Artikel vorgesehenen Fristen werden für die Dauer der Unterbrechungen einer Sitzungsperiode ausgesetzt. Sie können auf Beschluß der Nationalversammlung verlängert werden.

Wenn der Rat der Republik dem Gesetz zustimmt oder die Stellungnahme nicht innerhalb der im vorigen Absatz festgelegten Fristen abgegeben wurde, wird das Gesetz in der von der Nationalversammlung beschlossenen Fassung verkündet.

Wird die Zustimmung vom Rat verweigert, so prüft die Nationalversammlung den Gesetzesvorschlag oder -entwurf in zweiter Lesung. Sie entscheidet endgültig und nach freiem Ermessen, zustimmend oder ablehnend, ganz oder teilweise, ausschließlich über die vom Rat der Republik vorgeschlagenen Änderungen. Im Fall einer vollständigen oder teilweisen Ablehnung dieser Änderungen erfolgt die Abstimmung über das Gesetz in zweiter Lesung durch offene Stimmabgabe mit absoluter Mehrheit der Mitglieder der Nationalversammlung, wenn die Abstimmung vom Rat der Republik unter denselben Bedingungen erfolgt ist.

Artikel 21. Kein Mitglied des Parlaments darf wegen der in Ausübung seines Mandates geäußerten Meinungen oder vorgenommenen Abstimmungen verfolgt werden, Gegenstand einer Fahndung sein, verhaftet, in Haft gehalten oder verurteilt werden.

Artikel 22. Kein Mitglied des Parlaments kann während seiner Amtszeit ohne die Zustimmung der Kammer, der es angehört, wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verfolgt oder verhaftet werden, es sei denn, es würde auf frischer Tat ergriffen. Die Haft oder Verfolgung eines Parlamentsmitglieds wird ausgesetzt, wenn die Kammer, der es angehört, dies verlangt.

Artikel 23. Die Mitglieder des Parlaments erhalten eine Besoldung, die sich nach dem Gehalt einer Beamtenkategorie richtet.

Artikel 24. Niemand darf gleichzeitig der Nationalversammlung und dem Rat der Republik angehören.

Die Mitglieder des Parlaments dürfen weder dem Wirtschaftsrat noch der Versammlung der Französischen Union angehören.

TITEL III – Vom Wirtschaftsrat

Artikel 25. Ein Wirtschaftsrat, dessen Rechtsstellung durch Gesetz geregelt ist, prüft und beurteilt Gesetzesentwürfe und -vorschläge, die in seinen Kompetenzbereich fallen. Diese Entwürfe werden ihm von der Nationalversammlung vorgelegt, bevor diese darüber berät.

Außerdem kann der Wirtschaftsrat vom Ministerrat konsultiert werden. Zwingend prüft er die Erstellung eines nationalen Wirtschaftsplans, der auf die Vollbeschäftigung und die rationelle Nutzung materieller Ressourcen abzielt.

TITEL IV – Von diplomatischen Verträgen

Artikel 26. Die ordnungsgemäß ratifizierten und veröffentlichten diplomatischen Verträge haben Gesetzeskraft selbst im Falle, wo sie dem französischen Gesetz zuwiderlauten, ohne daß für ihre Anwendung andere Rechtsvorschriften erforderlich sind als jene, die gegebenenfalls für ihre Ratifizierung vonnöten waren.

Artikel 27. Die Ratifizierung von Verträgen über die internationale Organisation, von Friedensverträgen, Handelsverträgen, ferner solchen, die Verpflichtungen für die Staatsfinanzen nach sich ziehen, den Personenstand und das Eigentumsrecht der Franzosen im Ausland betreffen, innerstaatliche französische Gesetze ändern oder die Abtretung, den Tausch oder Erwerb von Staatsgebieten beinhalten, darf nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen.

Keine Abtretung, kein Tausch, kein Erwerb von Staatsgebieten ist gültig ohne die Einwilligung der betroffenen Bevölkerung.

Artikel 28. Da ordnungsgemäß ratifizierte und veröffentlichte diplomatische Verträge eine höhere Rechtskraft als innerstaatliche Gesetze haben, können ihre Bestimmungen nur nach einer ordnungsgemäßen Kündigung, die auf diplomatischem Wege notifiziert wird, aufgehoben, geändert oder ausgesetzt werden. Bei den in Artikel 27 genannten Verträgen – unter Ausschluß von Handelsverträgen – muß die Kündigung von der Nationalversammlung genehmigt werden.

TITEL V – Vom Präsidenten der Republik

Artikel 29. - Der Präsident der Republik wird vom Parlament gewählt.

Er wird auf sieben Jahre gewählt. Er kann nur einmal wiedergewählt werden.

Artikel 30. Der Präsident der Republik ernennt im Ministerrat die Conseillers d‘État, den Großkanzler der Ehrenlegion, die Botschafter und außerordentlichen Gesandten, die Mitglieder des Hohen Rates und des Verteidigungskomitees, die Rektoren der Akademien, die Präfekten, die Direktoren der Zentralverwaltungen, die Offiziere im Generalsrang und die Vertreter der Regierung in den überseeischen Körperschaften.

Artikel 31. Der Präsident der Republik wird über internationale Verhandlungen unterrichtet. Er unterzeichnet und ratifiziert völkerrechtliche Verträge.

Der Präsident der Republik beglaubigt die Botschafter und die außerordentlichen Gesandten bei den auswärtigen Mächten; die auswärtigen Botschafter und außerordentlichen Gesandten werden bei ihm beglaubigt.

Artikel 32. Der Präsident der Republik führt den Vorsitz im Ministerrat. Er läßt die Sitzungsprotokolle anfertigen und bewahrt sie auf.

Artikel 33. Der Präsident der Republik führt mit denselben Befugnissen den Vorsitz über den Hohen Rat und das Verteidigungskomitee und führt den Titel des Oberbefehlshabers der Streitkräfte.

Artikel 34. Der Präsident der Republik führt den Vorsitz im Obersten Rat des Richterstandes.

Artikel 35. Der Präsident der Republik übt im Obersten Rat des Richterstandes das Begnadigungsrecht aus.

Artikel 36. Der Präsident der Republik verkündet die Gesetze binnen zehn Tagen nach der Übermittlung des endgültig beschlossenen Gesetzes an die Regierung. Im Fall einer von der Nationalversammlung erklärten Dringlichkeit wird diese Frist auf fünf Tage verkürzt.

Innerhalb der für die Verkündung festgesetzten Frist kann der Präsident der Republik durch eine begründete Mitteilung von beiden Parlamentskammern eine nochmalige Beratung verlangen, die nicht verweigert werden darf.

Unterbleibt die Verkündung durch den Präsidenten der Republik in den durch diese Verfassung bestimmten Fristen, so verkündet der Präsident der Nationalversammlung das jeweilige Gesetz.

Artikel 37. Der Präsident der Republik verkehrt mit dem Parlament durch an die Nationalversammlung gerichtete Mitteilungen.

Artikel 38. Jede Urkunde des Präsidenten der Republik muß durch den Ministerpräsidenten sowie einen Minister gegengezeichnet werden.

Artikel 39. Spätestens dreißig und frühestens fünfzehn Tage vor Ablauf der Amtszeit des amtierenden Präsidenten schreitet das Parlament zur Wahl des neuen Präsidenten der Republik.

Artikel 40. Wenn in Anwendung des vorhergehenden Artikels die Wahl in einem Zeitraum stattfinden soll, in dem die Nationalversammlung nach Artikel 51 aufgelöst ist, so bleibt der amtierende Präsident der Republik bis zur Wahl des neuen Präsidenten im Amt. Das Parlament schreitet binnen zehn Tagen nach der Wahl der neuen Nationalversammlung zur Wahl des neuen Präsidenten der Republik.

In diesem Falle wird der Ministerpräsident binnen fünfzehn Tagen nach der Wahl des neuen Präsidenten der Republik ernannt.

Artikel 41. Im Falle einer Verhinderung, die das Parlament aufgrund der Vakanz des Amtes durch Ableben, Rücktritt oder aus einem anderen Grund durch Abstimmung feststellt, übernimmt der Präsident der Nationalversammlung vorübergehend die Amtsgeschäfte des Präsidenten der Republik; sein Amt übernimmt zwischenzeitlich einer der Vizepräsidenten.

Der neue Präsident der Republik wird binnen zehn Tagen gewählt, unbeschadet der Bestimmungen des vorhergehenden Artikels.

Artikel 42. Der Präsident der Republik kann nur im Falle des Hochverrats zur Verantwortung gezogen werden.

Er kann von der Nationalversammlung angeklagt und unter den im nachstehenden Artikel 57 vorgesehenen Bedingungen vor den Hohen Gerichtshof verwiesen werden.

Artikel 43. Das Amt des Präsidenten der Republik ist mit jedwedem anderen öffentlichen Amt unvereinbar.

Artikel 44. Mitglieder von Familien, die einstmals in Frankreich regiert haben, sind nicht für das Amt des Präsidenten der Republik wählbar.

TITEL VI – Vom Ministerrat

Artikel 45. Zu Beginn jeder Legislaturperiode ernennt der Präsident der Republik im Anschluß an die üblichen Konsultationen den Ministerpräsidenten.

Dieser legt der Nationalversammlung das Programm und die Politik des Kabinetts vor, das er zu bilden gedenkt.

Der Ministerpräsident und die Minister können erst ernannt werden, nachdem dem Ministerpräsidenten in einer öffentlichen Abstimmung und mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten das Vertrauen der Nationalversammlung ausgesprochen wurde, außer im Falle höherer Gewalt, die das Zusammentreten der Nationalversammlung verhindert.

Dasselbe gilt im Laufe der Legislaturperiode im Falle der Vakanz des Amtes durch Ableben, Rücktritt oder aus einem anderen Grund, mit Ausnahme der im nachstehenden Artikel 52 erwähnten Bestimmungen.

Ministerkrisen, die innerhalb von fünfzehn Tagen nach der Ernennung der Minister eintreten, zählen nicht für die Anwendung von Artikel 51.

Artikel 46. Der Ministerpräsident und die von ihm ausgewählten Minister werden durch Dekret des Präsidenten der Republik ernannt.

Artikel 47. Der Ministerpräsident gewährleistet die Ausführung der Gesetze.

Er ernennt alle Zivil- und Militärbeamten mit Ausnahme jener, die in den Artikeln 30, 46 und 84 vorgesehen sind.

Der Ministerpräsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und koordiniert die Umsetzung der nationalen Verteidigungspolitik.

Die in diesem Artikel vorgesehenen Urkunden des Ministerpräsidenten werden von den betroffenen Ministern gegengezeichnet.

Artikel 48. Die Minister sind gegenüber der Nationalversammlung für die allgemeine Politik des Kabinetts gemeinsam verantwortlich und für ihre persönlichen Amtshandlungen individuell verantwortlich.

Sie sind nicht gegenüber dem Rat der Republik verantwortlich.

Artikel 49. Die Vertrauensfrage darf nur nach Beratung des Ministerrats gestellt werden; sie kann ausschließlich durch den Ministerpräsidenten gestellt werden.

Die Abstimmung über die Vertrauensfrage kann erst einen vollen Tag, nachdem sie vor der Nationalversammlung gestellt wurde, stattfinden. Sie erfolgt in öffentlicher Abstimmung.

Das Vertrauen kann dem Kabinett nur mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten der Nationalversammlung verweigert werden.

Diese Verweigerung zieht den gemeinsamen Rücktritt des Kabinetts nach sich.

Artikel 50. Wenn die Nationalversammlung für einen Mißtrauensantrag stimmt, führt dies zum gemeinsamen Rücktritt des Kabinetts.

Diese Abstimmung kann erst einen vollen Tag, nachdem der Antrag darüber eingereicht wurde, stattfinden. Sie erfolgt in öffentlicher Abstimmung.

Der Mißtrauensantrag kann nur mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten der Nationalversammlung angenommen werden.

Artikel 51. Wenn innerhalb eines Zeitraums von achtzehn Monaten zwei Ministerkrisen unter den in den Artikeln 49 und 50 vorgesehenen Bedingungen eintreten, kann im Ministerrat nach Stellungnahme des Präsidenten der Nationalversammlung die Auflösung der Nationalversammlung beschlossen werden. Die Auflösung wird gemäß diesem Beschluß per Dekret durch den Präsidenten der Republik ausgesprochen.

Die Bestimmungen des vorhergehenden Absatzes gelten erst nach Ablauf der ersten achtzehn Monate der Legislaturperiode.

Artikel 52. Im Falle einer Auflösung bleibt das Kabinett mit Ausnahme des Ministerpräsidenten und des Innenministers im Amt, um die laufenden Geschäfte zu führen.

Der Präsident der Republik ernennt den Präsidenten der Nationalversammlung zum Ministerpräsidenten. Dieser ernennt den neuen Innenminister in Absprache mit dem Präsidium der Nationalversammlung. Er ernennt Mitglieder der nicht in der Regierung vertretenen Fraktionen zu Staatsministern.

Die allgemeinen Wahlen finden frühestens zwanzig und spätestens dreißig Tage nach der Auflösung statt.

Die Nationalversammlung tritt von Rechts wegen am dritten Donnerstag nach ihrer Wahl zusammen.

Artikel 53. Die Minister haben Zutritt zu beiden Parlamentskammern sowie ihren Ausschüssen. Sie sind auf ihr Verlangen anzuhören.

Sie können sich in den Beratungen vor den Kammern von Referenten unterstützen lassen, die per Dekret ernannt werden.

Artikel 54. Der Ministerpräsident kann einem Minister seine Befugnisse übertragen.

Artikel 55. Im Falle der Vakanz des Amtes durch Ableben oder aus einem anderen Grund überträgt der Ministerrat einem seiner Mitglieder vorübergehend die Funktionen des Ministerpräsidenten.

TITEL VII – Von der strafrechtlichen Verantwortung der Minister

Artikel 56. Die Minister sind für die in Ausübung ihres Amtes begangenen Verbrechen und Vergehen strafrechtlich verantwortlich.

Artikel 57. Die Minister können von der Nationalversammlung angeklagt und vor den Hohen Gerichtshof verwiesen werden.

Die Nationalversammlung stimmt darüber in geheimer Abstimmung und mit absoluter Mehrheit ihrer Mitglieder ab, mit Ausnahme jener, die gegebenenfalls aufgerufen werden, an der Strafverfolgung, am Ermittlungsverfahren oder an der Verurteilung teilzunehmen.

Artikel 58. Der Hohe Gerichtshof wird zu Beginn jeder Legislaturperiode von der Nationalversammlung gewählt.

Artikel 59. Die Organisation des Hohen Gerichtshofs und das vor ihm angewandte Verfahren werden durch ein eigenes Gesetz geregelt.

TITEL VIII – Von der Französischen Union

Abschnitt I. Grundsätze

Artikel 60. Die Französische Union wird einerseits aus der Französischen Republik, die das Mutterland und die überseeischen Departements und Gebiete umfaßt, und andererseits aus den assoziierten Gebieten und Staaten gebildet.

Artikel 61. Die Stellung der assoziierten Staaten der Französischen Union folgt für jeden von ihnen aus dem Vertrag, der seine Beziehungen zu Frankreich festlegt.

Artikel 62. Die Mitglieder der Französischen Union vereinigen die Gesamtheit ihrer Mittel, um die Verteidigung der ganzen Union zu sichern. Die Regierung der Republik übernimmt die Koordinierung dieser Mittel und die strategische Führung, um diese Verteidigung vorzubereiten und sicherzustellen.
Abschnitt II. Organisation

Artikel 63. Die zentralen Organe der Französischen Union sind die Präsidentschaft, der Hohe Rat und die Versammlung der Union.

Artikel 64. Der Präsident der Französischen Republik ist gleichzeitig Präsident der Französischen Union, deren ständige Interessen er vertritt.

Artikel 65. Der Hohe Rat der Französischen Union setzt sich unter dem Vorsitz des Präsidenten der Union aus einer Abordnung der französischen Regierung und der Vertretung zusammen, die jeder der assoziierten Staaten in den Hohen Rat ernennen kann.

Seine Aufgabe ist es, die Regierung bei der allgemeinen Geschäftsführung der Union zu unterstützen.

Artikel 66. Die Versammlung der Französischen Union setzt sich zur Hälfte aus Mitgliedern zusammen, die das französische Mutterland vertreten, und zur Hälfte aus Mitgliedern, welche die überseeischen Departements und Gebiete und die assoziierten Staaten vertreten.

Ein Organgesetz bestimmt, unter welchen Bedingungen die verschiedenen Teile der Bevölkerung vertreten sein können.

Artikel 67. Die Mitglieder der Versammlung der Französischen Union werden durch die territorialen Versammlungen gewählt, soweit es die überseeischen Departements und Gebiete betrifft; sie werden, was das französische Mutterland betrifft, zu zwei Dritteln durch die Mitglieder der Nationalversammlung, die das Mutterland vertreten, und zu einem Drittel durch die Mitglieder des Rates der Republik, die das Mutterland vertreten, gewählt.

Artikel 68. Die assoziierten Staaten können im Rahmen und unter den Bedingungen, die durch ein Gesetz und eine interne Verfügung jedes Staates festgelegt werden, Vertreter für die Versammlung der Union ernennen.

Artikel 69. Der Präsident der Französischen Union beruft die Versammlung der Union ein und schließt ihre Sitzungsperioden. Auf Verlangen der Hälfte ihrer Mitglieder muß er sie einberufen.

Die Versammlung der Französischen Union kann nicht während der Unterbrechungen der Sitzungsperioden des Parlaments tagen.

Artikel 70. Die Vorschriften der Artikel 8, 10, 21, 22 und 23 gelten für die Versammlung der Französischen Union unter den gleichen Bedingungen wie für den Rat der Republik.

Artikel 71. Die Versammlung der Französischen Union entscheidet über Entwürfe und Vorschläge, die ihr durch die Nationalversammlung oder die Regierung der Französischen Republik oder durch die Regierungen der assoziierten Staaten zur Stellungnahme vorgelegt werden.

Die Versammlung ist befugt, über Entschließungsvorschläge zu entscheiden, die ihr von einem ihrer Mitglieder vorgelegt werden, und, wenn sie diese in Erwägung zieht, ihr Präsidium zu beauftragen, diese der Nationalversammlung zuzuleiten. Sie kann der französischen Regierung und dem Hohen Rat der Französischen Union Vorschläge unterbreiten.

Die im vorhergehenden Absatz genannten Entschließungsvorschläge sind nur dann zulässig, wenn sie sich auf die Gesetzgebung der überseeischen Gebiete beziehen.

Artikel 72. In den überseeischen Gebieten liegt die gesetzgebende Gewalt beim Parlament, soweit es die Strafgesetzgebung, die Ordnung der bürgerlichen Freiheiten und die politische und administrative Organisation betrifft.

In allen anderen Fällen ist das französische Gesetz auf die überseeischen Gebiete nur durch ausdrückliche Verfügung anwendbar oder wenn es per Dekret nach Stellungnahme der Versammlung der Union auf die überseeischen Gebiete ausgedehnt worden ist.

Außerdem können in Abweichung von Artikel 13 besondere Bestimmungen für jedes Gebiet durch den Präsidenten der Republik im Ministerrat nach vorheriger Stellungnahme der Versammlung der Union festgelegt werden.
 

Abschnitt III. Von den überseeischen Departements und Gebieten

Artikel 73. Das Gesetzgebungssystem der überseeischen Departements ist das gleiche wie das der Departements des Mutterlandes, von den durch Gesetz festgelegten Ausnahmen abgesehen.

Artikel 74. Die überseeischen Gebiete werden mit einer besonderen Rechtsstellung ausgestattet, die ihren eigenen Interessen im Verhältnis zu den Interessen der Republik Rechnung trägt.

Diese Rechtsstellung und die innere Organisation jedes überseeischen Gebietes oder jeder Gruppe von Gebieten werden nach Stellungnahme der Versammlung der Französischen Union und Befragung der territorialen Versammlungen per Gesetz festgelegt.

Artikel 75. Die jeweilige Rechtsstellung der Mitglieder der Republik und der Französischen Union können geändert werden.

Änderungen der Rechtsstellung und der Übergang von einer Kategorie zur anderen in dem durch Artikel 60 festgesetzten Rahmen können nur kraft eines Gesetzes erfolgen, das das Parlament nach Stellungnahme der territorialen Versammlungen und der Versammlung der Union beschließt.

Artikel 76. Der Regierungsvertreter in jedem Gebiet oder in jeder Gruppe von Gebieten ist der Träger der Staatsgewalt der Republik. Er ist das Oberhaupt der Gebietsverwaltung.

Er ist gegenüber der Regierung für seine Handlungen verantwortlich.

Artikel 77. In jedem Gebiet wird eine gewählte Versammlung eingerichtet. Die Wahlordnung, die Zusammensetzung und die Zuständigkeit dieser Versammlung werden durch Gesetz festgelegt.

Artikel 78. In den Gruppen von Gebieten wird die Verteidigung der gemeinschaftlichen Interessen einer Versammlung anvertraut, die aus durch die einzelnen territorialen Versammlungen gewählten Mitgliedern besteht.

Ihre Zusammensetzung und ihre Machtbefugnisse werden durch Gesetz bestimmt.

Artikel 79. Die überseeischen Gebiete wählen unter den durch das Gesetz vorgesehenen Bedingungen Vertreter in die Nationalversammlung und in den Rat der Republik.

Artikel 80. Alle Staatsangehörigen der überseeischen Gebiete haben das Bürgerrecht mit dem gleichen Rechtsanspruch wie französische Staatsangehörige des Mutterlandes oder der überseeischen Gebiete. Besondere Gesetze legen die Bedingungen fest, unter denen sie ihre Bürgerrechte ausüben.

Artikel 81. Alle französischen Staatsangehörigen und alle Angehörigen der Französischen Union haben das Bürgerrecht der Französischen Union, welches ihnen den Genuß der durch die Präambel dieser Verfassung garantierten Rechte und Freiheiten zusichert.

Artikel 82. Die Bürger, die keine französische Staatsbürgerschaft haben, behalten ihre persönliche Rechtsstellung, solange sie nicht darauf verzichtet haben.

Diese Rechtsstellung kann in keinem Fall einen Grund bilden, um die Rechte und Freiheiten, die einem französischen Bürger zu eigen sind, zu verweigern oder einzuschränken.
 

TITEL IX – Vom Obersten Rat des Richterstandes

Artikel 83. Der Oberste Rat des Richterstandes besteht aus 14 Mitgliedern:

  • dem Präsidenten der Republik als Präsidenten,
  • dem Justizminister als Vizepräsidenten,
  • sechs Persönlichkeiten, die für sechs Jahre durch die Nationalversammlung außerhalb ihrer Mitglieder mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden, und sechs Stellvertretern, die unter den gleichen Bedingungen gewählt werden,
  • sechs Persönlichkeiten, die folgendermaßen ernannt werden:
  • vier Richtern, die auf sechs Jahre als Vertreter jeder Richterkategorie unter den durch Gesetz vorgesehenen Bedingungen gewählt werden,
  • vier unter den gleichen Bedingungen gewählten Stellvertretern,
  • zwei Mitgliedern, die auf sechs Jahre durch den Präsidenten der Republik außerhalb des Parlaments und der Richterschaft, aber aus den Reihen der Berufsjuristen ernannt werden,
  • zwei unter den gleichen Bedingungen ernannten Stellvertretern.

Die Entscheidungen des Obersten Rates des Richterstandes werden mit Stimmenmehrheit getroffen. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag.

Artikel 84. Der Präsident der Republik ernennt auf Vorschlag des Obersten Rates des Richterstandes die Richter, mit Ausnahme der Richter der Staatsanwaltschaft.

Der Oberste Rat des Richterstandes sichert in Übereinstimmung mit dem Gesetz die Disziplin der Richter, ihre Unabhängigkeit und die Verwaltung der Gerichtshöfe.

Die Richter – unter Ausschluß der Richter der Staatsanwaltschaft – sind unabsetzbar.
 

Titel X – Von den Gebietskörperschaften

Artikel 85. Die Französische Republik, einheitlich und unteilbar, erkennt das Bestehen von Gebietskörperschaften an.

Diese Körperschaften sind die Gemeinden, die Departements und die überseeischen Gebiete.

Artikel 86. Der Rahmen, der Umfang, gegebenenfalls die Umordnung und die Organisation der Gemeinden, Departements und überseeischen Gebiete werden durch Gesetz festgelegt.

Artikel 87. Die Gebietskörperschaften verwalten sich selbst durch in allgemeiner Abstimmung gewählte Räte.

Die Entscheidungen dieser Räte werden durch ihren Bürgermeister oder ihren Präsidenten ausgeführt.

Artikel 88. Die Koordinierung der Tätigkeit der Staatsbeamten, die Vertretung der nationalen Interessen und die administrative Kontrolle der Gebietskörperschaften werden im Rahmen der Departements durch die im Ministerrat bestimmten Vertreter der Regierung sichergestellt.

Artikel 89. Organgesetze erweitern die Freiheiten der Departements und Gemeinden; sie können für bestimmte Großstädte Verwaltungsregeln und einen Aufbau vorsehen, die sich von denen der kleineren Gemeinden unterscheiden, und besondere Bestimmungen für bestimmte Departements beinhalten; sie regeln die Anwendungsbedingungen für die obenstehenden Artikel 85 bis 88.

Ebenso bestimmen Gesetze die Bedingungen, unter denen die lokalen Instanzen der Zentralverwaltung funktionieren, um die Verwaltung an die Verwalteten anzupassen.
 

TITEL XI – Von der Änderung der Verfassung

Artikel 90. Die Änderung erfolgt in folgender Form:

Die Änderung muß durch eine Entschließung mit absoluter Mehrheit der Mitglieder der Nationalversammlung verabschiedet werden.

Diese Entschließung gibt den Inhalt der Änderung an.

Sie muß binnen wenigstens drei Monaten einer zweiten Lesung unterzogen werden, die unter denselben Bedingungen erfolgt wie die erste, es sei denn, der von der Nationalversammlung angerufene Rat der Republik hat dieselbe Entschließung mit absoluter Mehrheit beschlossen.

Nach dieser zweiten Lesung erarbeitet die Nationalversammlung einen Gesetzesentwurf zur Änderung der Verfassung. Dieser Entwurf wird dem Parlament vorgelegt und mit einfacher Mehrheit in der für ein gewöhnliches Gesetz vorgesehen Form verabschiedet.

Der Änderungsentwurf wird zum Volksentscheid gebracht, es sei denn, er wird in zweiter Lesung von der Nationalversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet oder mit einer Dreifünftelmehrheit von jeder der Parlamentskammern beschlossen.

Der Entwurf wird als Verfassungsgesetz binnen acht Tagen nach seiner Verabschiedung vom Präsidenten der Republik verkündet.

Keine Verfassungsänderung, die das Bestehen des Rates der Republik betrifft, kann ohne die Zustimmung dieses Rates oder die Zustimmung durch einen Volksentscheid durchgeführt werden.

Artikel 91. Der Präsident der Republik führt den Vorsitz über den Verfassungsrat.

Dieser setzt sich aus dem Präsidenten der Nationalversammlung, dem Präsidenten des Rates der Republik, sieben Mitgliedern, die von der Nationalversammlung zu Beginn jeder jährlichen Sitzungsperiode nach dem Verhältnis der Fraktionen gewählt werden und nicht aus dem Kreis ihrer Mitglieder stammen, und drei Mitgliedern, die unter denselben Bedingungen vom Rat der Republik gewählt werden, zusammen.

Der Verfassungsrat prüft, ob die von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze eine Verfassungsänderung erfordern.

Artikel 92. Innerhalb der für die Verkündung des Gesetzes vorgesehenen Frist wird der Verfassungsrat durch einen Antrag befaßt, der gemeinsam vom Präsidenten der Republik und vom Präsidenten des Rates der Republik gestellt wird, wobei der Rat mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder darüber entschieden hat.

Der Verfassungsrat prüft das Gesetz, bemüht sich, eine Einigung zwischen der Nationalversammlung und dem Rat der Republik herbeizuführen, und faßt, wenn ihm dies nicht gelingt, innerhalb von fünf Tagen nach seiner Befassung seine Beschlüsse. Bei Dringlichkeit wird diese Frist auf zwei Tage reduziert.

Er ist nur für Entscheidungen über eine mögliche Änderung der Bestimmungen der Titel I bis X dieser Verfassung zuständig.

Artikel 93. Das Gesetz, das nach Ansicht des Verfassungsrats eine Verfassungsänderung mit sich bringt, wird zur erneuten Beratung an die Nationalversammlung rückverwiesen.

Wenn das Parlament das Ergebnis seiner ersten Abstimmung bestätigt, kann das Gesetz erst verkündet werden, nachdem die Verfassung gemäß Artikel 90 geändert wurde.

Wenn das Gesetz als mit den Bestimmungen der Titel I bis X dieser Verfassung vereinbar angesehen wird, wird es innerhalb der in Artikel 36 vorgesehenen Frist verkündet, wobei diese um die Dauer der in Artikel 92 vorgesehenen Fristen verlängert wird.

Artikel 94. Im Falle einer Besetzung des gesamten oder eines Teils des französischen Mutterlandes durch ausländische Streitkräfte kann kein Verfahren zur Änderung der Verfassung eingeleitet oder fortgesetzt werden.

Artikel 95. Die republikanische Regierungsform kann nicht Gegenstand eines Änderungsvorschlages sein.
 

Titel XII – Vorübergehende Bestimmungen

Artikel 96. Das Präsidium der verfassungsgebenden Nationalversammlung ist dafür verantwortlich, die Kontinuität der nationalen Vertretung bis zur Wahl der neuen Nationalversammlung zu gewährleisten.

Artikel 97. Im Falle besonderer Umstände können die amtierenden Abgeordneten der verfassungsgebenden Nationalversammlung bis zu dem im vorhergehenden Artikel vorgesehenen Datum vom Präsidium der Versammlung entweder auf eigene Initiative oder auf Antrag der Regierung einberufen werden.

Artikel 98. Die Nationalversammlung tritt von Rechts wegen am dritten Donnerstag nach den allgemeinen Wahlen zusammen.

Der Rat der Republik tritt am dritten Dienstag nach seiner Wahl zusammen. Die Verfassung tritt ab diesem Datum in Kraft.

Bis zum Zusammentreten des Rates der Republik wird die Organisation der öffentlichen Gewalten durch das Gesetz vom 2. November 1945 geregelt, wobei die Nationalversammlung die Befugnisse hat, die der verfassungsgebenden Nationalversammlung durch dieses Gesetz übertragen wurden.

Artikel 99. Die nach Artikel 98 gebildete Übergangsregierung wird dem Präsidenten der Republik ihren Rücktritt einreichen, sobald er vom Parlament unter den im obenstehenden Artikel 29 festgelegten Bedingungen gewählt wurde.

Artikel 100. Das Präsidium der verfassungsgebenden Nationalversammlung wird damit beauftragt, das Zusammentreten der durch diese Verfassung eingesetzten Versammlungen vorzubereiten und ihnen u. a. bereits vor dem Zusammentreten ihrer jeweiligen Präsidien die für ihre Arbeit erforderlichen Räumlichkeiten und verwaltungstechnischen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Artikel 101. Während eines Zeitraums von höchstens einem Jahr nach dem Zusammentreten der Nationalversammlung kann der Rat der Republik rechtsgültig beraten, sobald zwei Drittel seiner Mitglieder für gewählt erklärt wurden.

Artikel 102. Der erste Rat der Republik wird im Jahr nach der Erneuerung der Gemeinderäte vollständig erneuert, welche binnen eines Jahres nach der Verkündung der Verfassung erfolgen muß.

Artikel 103. Bis zur Zusammensetzung des Wirtschaftsrates und für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten ab dem Zusammentreten der Nationalversammlung wird die Anwendung von Artikel 25 dieser Verfassung ausgesetzt.

Artikel 104. Bis zum Zusammentreten der Versammlung der Französischen Union und für einen Zeitraum von höchstens einem Jahr ab dem Zusammentreten der Nationalversammlung wird die Anwendung der Artikel 71 und 72 dieser Verfassung ausgesetzt.

Artikel 105. Bis zur Verkündung der in Artikel 89 dieser Verfassung vorgesehenen Gesetze und vorbehaltlich der Bestimmungen, welche die Rechtsstellung der verschiedenen überseeischen Departements und Gebiete festlegen, werden die Departements und Gemeinden der Französischen Republik nach geltendem Recht verwaltet, außer in Bezug auf Absätze 2 und 3 des Artikels 97 des Gesetzes vom 5. April 1884, für deren Anwendung dem Bürgermeister die Staatspolizei zur Verfügung gestellt wird.

Die Verfügungen, die der Präfekt als Vertreter des Staates im jeweiligen Departement erläßt, werden jedoch von ihm unter der ständigen Kontrolle des Präsidenten der Departementsversammlung ausgeführt.

Die Bestimmungen des vorangehenden Absatzes gelten nicht für das Departement Seine (Paris).

Artikel 106. Diese Verfassung wird durch den Ministerpräsidenten der Übergangsregierung der Republik binnen zwei Tagen nach der Bekanntmachung der Ergebnisse des Volksentscheids und in folgender Form verkündet:

„Die Verfassung, verabschiedet von der Nationalversammlung,
 
gebilligt vom französischen Volke,
 
wird vom Ministerpräsidenten der Übergangsregierung der Republik mit folgendem Wortlaut verkündet:

(Wortlaut der Verfassung)

Diese Verfassung, beraten und verabschiedet von der verfassungsgebenden Nationalversammlung, gebilligt vom französischen Volke, ist als staatliches Gesetz durchzuführen.“

Geschehen zu Paris am 27. Oktober 1946.

Verfassungsgesetz vom 7. Dezember 1954

zur Änderung der Artikel 7 (Zusatz), 9 (1. und 2. Absatz), 11 (1. Absatz), 12, 14 (2. und 3. Absatz), 20, 22 (1. Satz), 45 (2., 3. und 4. Absatz), 49 (2. und 3. Absatz), 50 (2. Absatz) und 52 (1. und 2. Absatz) der Verfassung

Dieses Verfassungsgesetz, beraten von der Nationalversammlung und dem Rat der Republik,

verabschiedet von der Nationalversammlung,

wird vom Präsidenten der Republik mit folgendem Wortlaut verkündet:

Artikel 1. Artikel 7 der Verfassung wird folgender Absatz angefügt: „Der Belagerungszustand wird unter den durch das Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen erklärt.“ 

Artikel 2. Artikel 9 Absatz 1 und 2 der Verfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Die Nationalversammlung tritt zu ihrer ordentlichen Sitzungsperiode rechtmäßig am ersten Dienstag im Oktober zusammen. Sobald diese Sitzungsperiode mindestens sieben Monate gedauert hat, kann der Ministerpräsident ihre Schließung durch ein Dekret entscheiden, das im Ministerrat erlassen wird. In diesem Zeitraum von sieben Monaten sind Unterbrechungen der Sitzungsperiode nicht mitenthalten. Als Unterbrechungen der Sitzungsperiode gelten Vertagungen der Sitzungen, die mehr als acht ganze Tagen betragen.“ 

Artikel 3. Artikel 11 Absatz 1 der Verfassung wird wie folgt geändert: Jede der beiden Kammern wählt jährlich, zu Beginn ihrer ordentlichen Sitzungsperiode, ihr Präsidium unter den von ihrer Geschäftsordnung vorgesehenen Bedingungen. 

Artikel 4. Artikel 12 der Verfassung wird aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Wenn die Nationalversammlung nicht tagt, kann ihr Präsidium das Parlament zu einer außerordentlichen Sitzungsperiode einberufen; der Präsident der Nationalversammlung muß dies tun, wenn es vom Ministerpräsidenten oder der Mehrheit der Mitglieder der Nationalversammlung verlangt wird. Der Ministerpräsident spricht die Schließung der außerordentlichen Sitzungsperiode nach Artikel 9 aus. Wenn die außerordentliche Sitzungsperiode auf Ersuchen der Mehrheit der Nationalversammlung oder ihres Präsidiums stattfindet, darf das Dekret zur Schließung nicht erlassen werden, bevor das Parlament die bestimmte Tagesordnung erschöpft hat, für welche es einberufen war. 

Artikel 5. Artikel 14 Absatz 2 und 3 der Verfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Die Gesetzentwürfe werden dem Präsidium der Nationalversammlung oder dem Präsidium des Rates der Republik vorgelegt. Gesetzentwürfe, welche die Ratifizierung von Verträgen in Übereinstimmung mit Artikel 27 zum Gegenstand haben, Haushalts- oder Finanzgesetzentwürfe und Gesetzentwürfe, welche eine Verminderung der Einnahmen oder eine Schaffung neuer Ausgaben zur Folge haben, müssen jedoch zwingend dem Präsidium der Nationalversammlung vorgelegt werden. Die von den Mitgliedern des Parlaments formulierten Gesetzesvorschläge werden dem Präsidium der Kammer vorgelegt, der sie angehören, und nach deren Verabschiedung an die andere Kammer zugeleitet. Die von den Mitgliedern des Rates der Republik formulierten Gesetzesvorschläge sind nicht zulässig, wenn sie eine Verminderung der Einnahmen oder eine Schaffung neuer Ausgaben zur Folge haben. 

Artikel 6. Artikel 20 der Verfassung wird aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: „Jeder Gesetzentwurf oder Gesetzesvorschlag wird nacheinander in beiden Parlamentskammern geprüft, um eine gleichlautende Fassung zu verabschieden. Sofern der Entwurf oder Vorschlag nicht durch den Rat der Republik in erster Lesung geprüft wurde, beschließt dieser hierüber binnen zwei Monaten, nachdem ihm die von der Nationalversammlung in erster Lesung beschlossene Fassung vorgelegt wurde. In Bezug auf Haushaltspläne oder -gesetze darf die dem Rat der Republik gewährte Frist die vorher von der Nationalversammlung für deren Prüfung und Verabschiedung benötigte Zeit nicht überschreiten. Im Falle eines von der Nationalversammlung erklärten Dringlichkeitsverfahrens beträgt die Frist das Doppelte derjenigen, welche für die Beratung der Nationalversammlung in ihrer Geschäftsordnung vorgesehen ist. Wenn der Rat der Republik seinen Beschluß nicht innerhalb der in den vorhergehenden Absätzen vorgesehenen Fristen faßt, kann das Gesetz in der von der Nationalversammlung beschlossenen Fassung verkündet werden. Wenn keine Einigung erreicht wurde, wird die Prüfung in jeder der beiden Kammern fortgesetzt. Nach zwei Lesungen des Rates der Republik verfügt jede Kammer zu diesem Zwecke über die von der anderen Kammer bei der vorhergehenden Lesung benötigte Zeit, ohne daß diese weniger als sieben Tage betragen kann bzw. weniger als einen Tag für die im dritten Absatz genannten Gesetzesvorlagen. Falls binnen hundert Tagen nach Einbringung der Gesetzesvorlage beim Rat der Republik zur zweiten Lesung keine Einigung erreicht wird – diese Frist wird für Haushaltspläne und -gesetze auf einen Monat und bei Anwendung des Dringlichkeitsverfahrens auf 14 Tage verkürzt – kann die Nationalversammlung die Gesetzesvorlage endgültig beschließen, indem sie entweder die letzte von ihr verabschiedete Fassung aufgreift oder diese durch die Annahme einer oder mehrerer der vom Rat der Republik vorgeschlagenen Abänderungen modifiziert. Wenn die Nationalversammlung die ihr zur Verfügung stehende Prüfungsfrist überschreitet oder verlängert, wird die für die Einigung beider Kammern vorgesehene Frist um den gleichen Zeitraum verlängert. Die in diesem Artikel vorgesehenen Fristen werden für die Dauer der Unterbrechungen einer Sitzungsperiode ausgesetzt. Sie können auf Beschluß der Nationalversammlung verlängert werden.“ 

Artikel 7. Der erste Satz des Artikel 22 der Verfassung wird aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: „Kein Mitglied des Parlaments kann während der Sitzungsperioden ohne die Zustimmung der Kammer, der es angehört, wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verfolgt oder verhaftet werden, es sei denn, es würde auf frischer Tat ergriffen. Jeder Abgeordnete, der außerhalb der Sitzungsperiode verhaftet wird, kann sein Stimmrecht durch Delegierung ausüben, solange die Kammer, welcher er angehört, nicht über die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität entschieden hat. Wenn sie nicht binnen 30 Tagen nach Eröffnung der Sitzungsperiode darüber entschieden hat, ist der verhaftete Abgeordnete von Rechts wegen in Freiheit zu setzen. Mit Ausnahme von Fällen, in denen ein Parlamentsmitglied auf frischer Tat ergriffen, seine Verfolgung autorisiert oder seine endgültige Verurteilung ausgesprochen wurde, kann es außerhalb der Sitzungsperioden nur mit Zustimmung des Präsidiums der Kammer, der es angehört, verhaftet werden.“ 

Artikel 8. Artikel 45 Absatz 2 und 3 der Verfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: „Dieser wählt die Mitglieder seines Kabinetts aus und übermittelt die Liste der Nationalversammlung, welcher er sich präsentiert, um ihr Vertrauen für sein Programm und die von ihm angestrebte Politik zu gewinnen, es sei denn, daß höhere Gewalt das Zusammentreten der Nationalversammlung verhindert. Die Abstimmung erfolgt geheim und mit einfacher Mehrheit. Dasselbe gilt im Laufe der Legislaturperiode im Falle der Vakanz des Amtes des Ministerpräsidenten, unbeschadet der im Artikel 52 genannten Bestimmungen. 

Artikel 9. Artikel 49 Absatz 2 und 3 der Verfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: „Die Abstimmung über die Vertrauensfrage kann erst vierundzwanzig Stunden, nachdem sie vor der Nationalversammlung gestellt wurde, stattfinden. Sie erfolgt in öffentlicher Abstimmung. Das Vertrauen kann dem Kabinett nur mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten der Nationalversammlung verweigert werden.“ 

Artikel 10. Artikel 50 Absatz 2 der Verfassung wird aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: „Die Abstimmung über einen Mißtrauensantrag erfolgt unter den gleichen Bedingungen und in der gleichen Form wie die Abstimmung über die Vertrauensfrage.“

Artikel 11. Artikel 52 Absatz 1 und 2 der Verfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: „Im Falle einer Auflösung bleibt das Kabinett im Amt. Falls jedoch der Auflösung der Nationalversammlung die Annahme eines Mißtrauensantrages vorangegangen ist, so ernennt der Präsident der Republik den Präsidenten der Nationalversammlung zum Ministerpräsidenten und Innenminister.“

Artikel 12. Die neuen Bestimmungen von Artikel 9 der Verfassung treten erst ab dem ersten Dienstag im Oktober nach der Verkündung dieses Gesetzes zur Änderung der Verfassung in Kraft.

Stand : 15 Dezember 2022