Als Erkennungsmerkmale und Zeichen der Autorität wurden Siegel jahrhundertelang von Privatleuten ebenso genutzt wie von Instanzen zivilen oder religiösen Rechts. Heute kommt das Siegel nur noch bei sehr seltenen, besonders feierlichen Anlässen zum Einsatz, insbesondere bei der Unterzeichnung der Verfassung oder ihrer Änderungen. Das aktuelle Siegel der Republik ist dasselbe, das 1848 für die 2. Republik geprägt wurde.
Unter dem Ancien Régime wird der Kanzler, der königliche Großoffizier, mit der materiellen Bewachung der Siegelmatrizen beauftragt und leitet die Besiegelung von Schriftstücken. Er ist unkündbar und nach dem Konnetabel der zweitwichtigste Würdenträger des Königreiches. Beim Tod des Königs, wenn das Siegel des Verstorbenen nach dem Ritus zerstört wird, ist er von der Pflicht Trauer zu tragen ausgenommen.
Der Kanzler ließ sich 1718 in einem Stadtpalais an der Place Vendôme nieder, das noch heute Sitz des aktuellen Siegelwächters, des Justizministers, ist.
Während der Revolution wurde das goldene Siegel Ludwigs XVI. eingeschmolzen. Ein Dekret von 1792 legte zum ersten Mal das Aussehen des neuen Siegels der Republik fest: eine stehende Frau, die eine Pike mit einer bienenkorbförmigen Mütze darauf in der Hand hält, und im anderen Arm ein Liktorenbündel.
Auf dem Siegel Napoleons waren Bienen und die Kaiserkrone abgebildet. Die Könige Ludwig XVIII. und Karl X. übernahmen eine Bebilderung mit Lilienblüten, ähnlich der des Ancien Régime. Louis Philippe wiederum ließ die Trikolore und das Wappen der Familie von Orléans auf dem Siegel Einzug halten.
Die Gestaltung des Siegels der 2. Republik, das noch heute in Gebrauch ist, wurde am 8. September 1848 von einem Erlass festgelegt. Der Münzmeister Jean-Jacques Barré nahm sich beim Wortlaut des Dekrets Freiheiten heraus, insbesondere was die Anordnung der Inschriften anbelangt. Eine sitzende Frau, die Libertas, hält in der rechten Hand ein Liktorenbündel und in der linken Hand ein Steuerruder, auf dem ein gallischer Hahn abgebildet ist, dessen Fuß auf einer Erdkugel ruht. Eine Urne mit den Initialen SU (Suffrage universel) erinnert an die Einführung des allgemeinen direkten Wahlrechts 1848. Zu Füßen der Libertas befinden sich Symbole der schönen Künste und der Landwirtschaft.
Das Siegel trägt auf der Vorderseite die Inschrift République française démocratique une et indivisible („Französische Republik, demokratisch, einig und unteilbar“) und auf der Rückseite Au nom du peuple français („Im Namen des französischen Volkes“) und Égalité, fraternité („Gleichheit, Brüderlichkeit“).
Der Erlass von 1848 definiert auch die Art von Siegeln oder Stempeln, die Gerichte und Notare üblicherweise verwenden sollten.
Die 3., 4. und 5. Republik übernahmen das Siegel. In der 4. Republik wurde anscheinend lediglich die Verfassung besiegelt. Seit 1958 wurden die Verfassung und manche Verfassungsgesetze, die sie änderten, feierlich mit einem gelben hängenden Wachssiegel auf einem blauweißroten Seidenband versehen. Dies war insbesondere beim Verfassungsgesetz Nr. 2008-724 vom 23. Juli 2008 zur Modernisierung der Institutionen der 5. Republik der Fall.
Die Presse, die dazu dient, das Siegel ins Wachs einzudrücken, wird im Büro des Justizministers aufbewahrt, der noch immer den Titel „Siegelbewahrer“ trägt.